FOOTBALL`S COMING HOME... UNSER GELIEBTER FUßBALL AUS DEN UNTEREN LIGEN


Berichte über unseren geliebten Amateur-Fußball aus dem Herzogtum Lauenburg, der Hansestadt Lübeck und der Verbandsliga Süd-Ost... und natürlich aus dem Mutterland des Fußballs...

Donnerstag, 10. September 2009

ENGLAND ENTDECKT DIE SCHWALBEN


Diving Lessons


Wayne Rooney gilt den englischen Medien mittlerweile als Schwalbenkönig. Sein geschundener Elfmeter gegen Slowenien erregt die Gemüter auf der Insel. Lernen die Engländer endlich, was die ganze Welt schon kann?


Es war der Aufreger beim unbedeutenden Freundschaftskick England gegen Slowenien. Eine halbe Stunde war gespielt, als eine Flanke von der linken Seite in den Strafraum der Gäste segelte. Wayne Rooney und sein Gegenspieler Bostjan Cesar sprinteten dem Ball hinterher, eng umschlungen, wie das heutzutage üblich ist, der Engländer fiel hin, dabei auch noch dem Slowenen schmerzhaft auf den Knöchel. Der Schiedsrichter pfiff Elfmeter und zeigte dem Verteidiger Gelb.


Eine Szene, die nicht nur auf dem Platz, sondern auch in den englischen Medien mächtig Wellen schlug. Plötzlich gilt Rooney, der Mann mit dem Türsteherkörper und der Kneipenschlägeraura, als fallsüchtige Weichwurst und passionierter Tauchgänger. Der Rest der Welt schaut gebannt auf das Geburtsland des Fußballs und fragt sich: Haben die Engländer endlich das Schwalben gelernt?



Als Jürgen Klinsmann zu Tottenham Hotspur nach London wechselte, brachte er seinen Ruf als Schwalbenkönig gleich mit. Für den englischen Boulevard war er nur der »Diver« - eine Bezeichnung, die sich »Klinsi« dann auch bei diversen Gelegenheiten aus hunderten Kehlen in den Stadien anhören durfte. Der Weltmeister von 1990 (im Finale mit toller B-Note beim Flic-Flac nach dem Foul von Monzón) zeigte seinen Offensivriecher aber auch in dieser Frage und tauchte fortan nach jedem Tor bis auf die Grasnarbe ab. Der Diver machte den Diver und stopfte mit jedem Treffer den Stänkerern das Maul. Zu allem Überfluss nahm der deutsche Kapitän kurz darauf dann auch noch den EM-Pokal in der englischen Fußballkathedrale in Empfang. Und im Finale siegten die unfairen Teutonen anders als 74 oder 90 ohne den Hauch eines Schwalbenverdachts. Ein schwarzer Tag für alle Deutschland-Klischees auf der Insel.


Im englischen Fußball blieben Schwalben und Schauspielerei verhasst. »Wenn ein Engländer liegenbleibt, kann man davon ausgehen, dass er sich den Fuß gebrochen hat«, sagt Karl-Heinz Riedle, der vier Jahre in England spielte. Als »Air« Riedle im Dress von Liverpool einmal grundlos abhob, brannte sofort der Baum. »Da kam mein Gegenspieler direkt zu mir, hat mich am Trikot hochgezogen und gesagt ‚Das kannst du in Deutschland machen, aber nicht hier!’« Danach habe er es nie wieder probiert, sagt der Weltmeister von 1990. Apropos Weltmeister. Zwei unserer WM-Titel verdanken wir, zugegeben, gekonnten Schwalben. Na und? England verdankt seinen einzigen WM-Titel einem Tor, das keines war.



Die eigene Fairness im gegnerischen Strafraum stellen die Bewohner des britischen Königreichs gerne zur Schau – das wiederum mit nicht wenig Theatralik. »Wir Engländer sind zu ehrlich«, ließ sich am Wochenende John Terry, der Kapitän der »Three Lions«, im englischen Guardian zitieren. »Wir schmeißen uns nicht hin.« Oft würden sich englische Stürmer zu ihrem eigenen Nachteil verhalten und trotz unfairer Tacklings auf den Beinen bleiben, so der Chelsea-Spieler weiter.England zu ehrlich, um im FIFA-Haifischbecken zu überleben? Die Trendwende scheint bereits geschafft. Terry selbst wurde vor drei Jahren in einem Spiel gegen Blackburn der Schwalberei bezichtigt. Rooney, Terry, Beckham, Gerrard – die Liste der »gefallenen Engel«, die der Guardian flugs zusammenstellte, um die Diskussion anzuheizen, ist prominent besetzt. Noch amüsanter ist, dass ausgerechnet Wayne Rooney im Fokus der medialen Selbstzerfleischung steht. Rooney, der Kirmesboxersohn, der einem Premier-League-Kollegen einst nach dem Dinner seinen Faustabdruck in die Visage meißelte. Rooney, der eiertretende Rotsünder. Rooney, der den Falschspieler Ronaldo beim gemeinsamen Training »in Stücke reißen« wollte. Und dieser Rooney soll nun ein schlimmerer Schwalbenkönig als Hölzenbein, ein größeres Schlitzohr als Völler sein? Kaum glaublich. Und dennoch listet die englische Presse nicht weniger als sechs verdächtige Fälle des kantigen Nordengländers auf.



In dem Land, in dem man bislang Fußball- und Rugbypartien nur an der Form des Spielgeräts unterscheiden konnte, scheint schleichend eine neue Mentalität Einzug zu halten. Zu befürchten ist: Was die britischen Medien jetzt noch pflichtschuldigst monieren, werden sie spätestens in Südafrika billigen, ja fordern! Wenn Rooney und Kollegen jetzt auch noch das Elfmeterschießen für sich entdecken, ist der englische Fußball auf Jahre hinaus unschlagbar! Vielleicht hat Rooney als britischer Avantgardist den im Weltfußball seit Jahrzehnten gängigen »Zynismus« angenommen, den John Terry bislang in eigenen Reihen vermisste. Vielleicht aber fährt die Premier League nun auch die Ernte des Samens ein, der sechs Jahre lang von einem fallenden, lamentierenden, flehenden Portugiesen in Diensten von Manchester United gesät wurde. Hat Cristiano Ronaldo sich etwa nicht nur mit seinen einstigen Antipoden versöhnt, sondern ihm sogar seine besten Tricks beigebracht?

Noch sind nicht alle in der Premier League beschäftigten Spieler in die Kunst des vollendeten Schwalbens eingeweiht. Der Arsenal-Stürmer Eduardo bekam von der UEFA gerade wegen einer Flugeinlage mit Boden-, aber ohne Körperkontakt zwei Spiele Sperre aufgebrummt. Bereits die TV-Kommentatoren ließen sich nicht täuschen und entlarvten Edus Fall als astreinen Tauchgang. »Der Schiedsrichter wurde hinters Licht geführt«, war der einstimmige Tenor. Nottingham Forests legendärer Trainer Brian Clough, der mit seinem Team 1979 den Landesmeister-Pokal gewann, fragte seine Spieler damals in rhetorischster Weise: »Stellt euch vor, eure ganze Familie sitzt vor dem Fernseher, und ihr macht da den sterbenden Schwan. Wollt ihr, dass eure Mamis sich für euch schämen?« Cloughs Worte hallen in seiner Heimat noch leise nach, drohen aber bald endgültig in Vergessenheit zu geraten. Dann ist für das Dreilöwenteam endlich der Weg frei für den ersten Titel seit 1966. Welch glorreiche Aussicht!