FOOTBALL`S COMING HOME... UNSER GELIEBTER FUßBALL AUS DEN UNTEREN LIGEN


Berichte über unseren geliebten Amateur-Fußball aus dem Herzogtum Lauenburg, der Hansestadt Lübeck und der Verbandsliga Süd-Ost... und natürlich aus dem Mutterland des Fußballs...

Montag, 23. Februar 2009

Weshalb dem so ist, haben Legionen von Kulturhistorikern zu erklären versucht. Solche Modelle waren jedoch ebenso wenig Greaves’ Anliegen wie medizinische Spitzfindigkeiten, wer wann warum dem Suff verfällt, oder hypertrophes Psychogebrabbel. Er erzählt ausschließlich aus der Täterperspektive, und er weiß, wovon er redet. Was etwa den harten Gewohnheitstrinker, der spätestens dann von einem Tag auf den anderen aufhören kann, wenn der Arzt zum ersten Mal energisch mit dem Zaunpfahl winkt, vom Suchtsäufer unterscheidet, hat man so prägnant allenfalls bei amerikanischen Crime-Autoren der Hard-Boiled-Schule gelesen. Die schlichte, selbstmitleidsfreie Art, mit der Greaves vor den Gefahren der im Umfeld des Fußballmilieus lauernden Trunksucht zu warnen versucht und sich dabei nicht zu schade ist, als abschreckendes Beispiel zu dienen, nötigt dem Leser auch bei der erneuten Lektüre tiefen Respekt ab. Jimmy Greaves war als Fußballer in mehrfacher Beziehung einzigartig. Bei uns gilt er in erster Linie als tragische Figur, weil er bei der WM 1966 im Laufe des Turniers verletzungsbedingt seinen Stammplatz verlor. Aber in der ersten Hälfte der 60er war er ohne Wenn und Aber der erfolgreichste englische Kicker (wenn auch nicht der beliebteste, was daran lag, dass er den Eindruck erweckte, seine unglaubliche Torausbeute fiele ihm ohne große Mühe zu) und weltweit einer der ganz wenigen, bei denen die abgedroschene Floskel von der eingebauten Torgarantie berechtigt war. In 14 Spielzeiten zwischen 1957/58 und 1970/71 schoss er in 516 englischen Erstligaspielen märchenhafte 357 Tore, was einen Schnitt von 0,69 Treffern pro Spiel bedeutet. Rechnet man die letzten beiden Jahre, in denen er (schon alkoholbedingt) nur noch unregelmäßig zum Einsatz kam, und das viermonatige Intermezzo beim AC Mailand in der Saison 1961/62 ab, dann ist diese Bilanz noch phänomenaler. Stolze sechs Mal wurde er Torschützenkönig, hinzukommen gleichfalls sensationelle 44 Länderspieltore in 57 Spielen. Seit den mythenumrankten Tormaschinen der Vorkriegszeit wie Dixie Dean oder Ted Drake hatte niemand mehr auf der Insel mit solcher Regelmäßigkeit getroffen. Aber das war die mittlere Kreidezeit der Fußballgeschichte gewesen, in der fast nur die Mittelstürmer für die Tore verantwortlich waren. Greaves hingegen hatte seine erfolgreichsten Jahre, als der Fußball schon an der Schwelle zur Moderne stand und sich die Torausbeute auf viel mehr Spieler verteilte.

Stammspieler bei Chelsea mit 17, Torschützenkönig und Nationalspieler mit 19, das hundertste Ligator mit 21, das zweihundertste mit 23: Greaves war wahrlich ein Shootingstar mit einem für die damalige Zeit ungewöhnlich rasanten Karriereverlauf. Und auch die Gewöhnung an den Alkohol lief im Eilverfahren. Das gesellige Beisammensein nach dem Spiel oder Training war in jenen Tagen noch eine Selbstverständlichkeit, der sich kein Teammitglied entziehen konnte und es auch gar nicht wollte. Profifußballer war ein Beruf (damals noch unter Sklavenbedingungen, zu denen ein Höchstgehalt von 20 Pfund pro Woche zählte), aber auch ein ganz spezieller Way of Life, zu dem – unabhängig davon, ob man schon Familie hatte – nun einmal gehörte, sich möglichst oft mit den Mannschaftskameraden im Club House oder einem der zahllosen Pubs, die sich in unmittelbarer Nähe der Trainingsstätte jedes Vereins befanden, sehen zu lassen. Und dort stand dann selten der Zapfhahn still.

Solange in den dritten Halbzeiten niemand grob ausfällig oder gar gewalttätig wurde (was natürlich auch vorkam, aber nur selten an die Öffentlichkeit drang, weil die Clubs noch viel Einfluss auf die lokalen Medien besaßen und deren Vertreter nicht selten die dicksten Saufkumpane der Spieler waren), war von Seiten der Vereine nichts an diesem Freizeitverhalten auszusetzen. Gemeinsames Zechen fördert den Teamgeist, und wer trinkfest ist, steht auch auf dem Platz wacker seinen Mann, das waren damals fast so etwas wie Dogmen des britischen Fußballs. Jimmy Greaves war anfangs der Idealtypus des Geselligkeitstrinkers, der die ausgelassene Fröhlichkeit in einem Pub als ebenso wohltuend empfand wie die Wirkung des Alkohols selbst. Wie hätte es auch anders sein sollen, denn wirkliche Probleme hatte das Wunderkind des englischen Fußballs, dem der Erfolg nur so zuflog, ja kaum gehabt. Beides, die vielen Biere und das Aufgehobensein in einer Runde erfolgreicher junger Männer nebst den üblichen Schulterklopfern und Claqueuren, half, nach der aufgeputschten Stimmung eines wichtigen Spiels emotional wieder runterzukommen und die innere Ausgeglichenheit wiederzuerlangen.