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Berichte über unseren geliebten Amateur-Fußball aus dem Herzogtum Lauenburg, der Hansestadt Lübeck und der Verbandsliga Süd-Ost... und natürlich aus dem Mutterland des Fußballs...

Samstag, 20. Februar 2010

Die Kathedrale - Das Old Trafford wird 100


Vor 100 Jahren fand das erst Spiel in Manchester Uniteds Heimstätte Old Trafford statt. Seitdem haben sie dort viele Helden kommen und gehen sehen. Manche blieben für immer. Ein Blick zurück auf die Geschichte des »Theater of Dreams«.


»Was war das denn?« Eric Cantona streicht sich durch sein raspelkurzes Haar, blickt mit großen Augen in Richtung Sturmpartner Andy Cole. Das Old Trafford erhebt sich, es gibt Standing Ovations – aber nicht für Cantona. Der Kragen seines Trikots steht steif wie des einen stolzen Feldherrn, dabei ist er gerade der dümmste Krieger im Stadion. Aus zwei Metern ist er gescheitert, das Tor war leer, der Ball kullerte ihm vom rechten Fuß und prallte Zentimeter vor der Linie an den ausgefahrenen Fuß eines deutschen Verteidigers.


Es ist der 23.04.1997, Champions League-Halbfinale. Manchester United empfängt Borussia Dortmund, es geht um den Einzug ins Finale. Die Fans erheben sich, es gibt Standing Ovations – für einen bloody german, für den Kokser, Jürgen Kohler. »Das war pures Glück. Den macht Cantona eigentlich im Tiefschlaf, aber in dem Moment schießt er genau dahin, wo ich meine Fuß hinhebe«, erinnert sich Kohler heute. Old Trafford hat einen deutschen Helden gefunden.



Seine schwärzeste Stunde erlebte Manchester United am 6. Februar 1958, als acht Spieler der legendären "Busby Babes" beim Flugzeugunglück von München ihr Leben verloren. Die "Munich Clock" am Eingang von Old Trafford zeigt Tag und Uhrzeit der Katastrophe.



Heute wird Old Trafford, das »Theater der Träume«, einhundert Jahre alt. In diesem Jahrhundert ist viel passiert, zu viel, um alles aufzuschreiben, ohne einen großen Moment zu vergessen. Erstmals rollte der Ball am 19. Februar 1910 durch das Stadion. Der Architekt Archibald Leitch hatte dieses Monumentalwerk der Fußballgeschichte erbaut, das Platz für 80.000 fußballhungrige Fans bot. Die Kosten: lächerliche 90.000 Pfund. Knapp 50.000 Zuschauer strömten zum Eröffnungsspiel zwischen United und dem Erzrivalen FC Liverpool in die nagelneue Arena. United verliert 3:4, das tat weh, darüber hinweg half wohl nur die Freude über die neue Heimat der Red Devils. Old Trafford wird zur Kathedrale Manchesters, zu der sie hinströmen, um ihre Helden kämpfen zu sehen. An jedem verdammten Heimspielsonntag.


Als die Deutsche Luftwaffe während des Zweiten Weltkriegs immer wieder die Industriestadt Manchester als Ziel heimsucht, bleibt auch Old Trafford nicht verschont. Die Bombenteppiche zerlegen das alte Old Trafford fast in seine Einzelteile, nur der Spielertunnel trotzt den Nazi-Bomben, bleibt stehen. Ein Zeichen des Widerstands. Surrender? Never! Um ihn herum wird Old Trafford wieder aufgebaut, aber erst nach zehn Jahren kann United wieder zu einem Spiel in das Theater einlaufen. Solange müssen sie beim Stadtrivalen City an der Maine Road spielen. Eine Höchststrafe. Auch dafür hassen sie die Deutschen.


»Wenn man beim Einlaufen da unten im Tunnel steht, grollt es über einem wie bei einem Erdbeben. Das ist einfach phantastisch«, spricht Kohler über seine eindringlichste Erinnerung an Uniteds Heimat und ergänzt: »Diese Enge, diese Nähe zu den Fans habe ich selten wieder in einem Stadion erlebt. Man schaut sich um und alles ist rot. Old Trafford ist ein Mythos.« Ein Mythos, der von seinen Legenden lebt, von den Bests, den Laws, den Charltons, von großen Siegen und schweren Niederlagen. Man hat zusammen geweint, dort oben auf den Stands, man hat zusammen gesungen, um die Tränen zu vergessen. Sich in den Armen gelegen, Pints verschüttet und Backenfutter verteilt.


An jeder Ecke atmet Old Trafford die Geschichte des Vereins: Die Munich Clock am Eingang zeigt Uhrzeit und Datum des tragischen Flugzeugabsturzes der legendären 58er Mannschaft, den Busby Babes. Die lebensgroße Matt Busby-Statue über dem Eingang des East Stand, in dessen Bauch United heute seinen größten Fanshop beheimatet, ehrt den Mann, ohne den United nicht das wäre, was es heute ist.


Legenden hat das Old Trafford in 100 Jahren natürlich einige hervorgebracht. Sir Bobby Charlton (Mi.), Denis Law und der 2005 verstorbene George Best (r.) holten 1968 den Europapokal der Landesmeister nach Manchester. Der langjährige Kapitän Charlton war es auch, der dem Stadion vor 50 Jahren erstmals den Namen "Theatre of Dreams" verpasst haben soll. Law hat der Klub allerdings auch eine traurige Stunde zu verdanken: 1974 besiegelte er, inzwischen im Trikot des Lokalrivalen City, mit einem Hackentor den Abstieg der Red Devils.


Unvergessen in Old Trafford: Duncan Edwards, "Busby Babe" und eines der größten Talente seiner Zeit, kam beim Flugzeugunglück von München ums Leben. Er wurde nur 21 Jahre alt. Bryan Robson (r.) und Rauhbein Roy Keane (l.) absolvierten beide über 300 Spiele für United.



Auf dem Rasen des Old Trafford feierte Manchester United so manchen Erfolg. Der Zuschauerrekord wurde jedoch ohne Beteiligung der Red Devils aufgestellt: 1939 sahen 76.962 Besucher das FA-Cup-Halbfinale zwischen den Wolverhampton Wanderers und Grimsby Town. Im März 2007 kamen zu Uniteds-Heimspiel gegen Blackburn 75.769 Zuschauer: Premier-League-Rekord!


Trotz aller großkapitalistischen Ansätze ist United eine Religion für die Menschen und das Old Trafford ist die Kirche. Das Stretford End, einst die größte Stehplatztribüne im Old Trafford, ist ihr Altar. Lange hingen sie hier, die großflächigen United-Banner. Sie wurden aus Protest gegen die amerikanischen Besitzer abgehängt, doch wirklich weg waren sie nie: Das »20Legend«, das Super-Joker Solskjær ehrt, das »Sent To Me From Heaven...You Are My World«, in stillen Gedenken an Geroge Best und das »34 years«, der Arschtritt für ManCity, die seit 34 Jahren auf einen Titel warten. Wer es auf ein Banner im Stretford End schafft, ist Teil der United-Geschichte, Teil von Old Trafford. Offizielle »Kings of Stretford End« durften sich bisher nur zwei nennen: Dennis Law und Eric Cantona.


Der East Stand von Old Trafford erhebt sich über die angrenzende Arbeitersiedlung.


»Was war das denn?« Cantona schüttelt den Kopf, das Stretford End erhebt sich. United ist so eben gegen Borussia Dortmund ausgeschieden, die Fans applaudieren, »Kohler, Kohler«-Rufe hallen durch das Rund. »Das war eine Abwehrschlacht. Wir haben uns mit aller Kraft gegen das Gegentor gewehrt. Und Glück hatten wir auch. Der liebe Gott hatte an dem Tag einen Borussenschal um«, meint Jürgen Kohler heute. Das Abwehrschlachthaus selbst kriegt von der Huldigung seiner Person nichts mit: »Meine Kollegen haben mir nachher erst erzählt, dass jedes Mal ein lautes Raunen von den Rängen kam, wenn ich in Ballnähe war.«


Im 29. Mai 2008, genau 40 Jahre nachdem Manchester United als erstes englisches Team den Europapokal der Landesmeister gewann, wurde drei United-Legenden ein Denkmal gesetzt. Eine Bronzestatue vor dem East Stand zeigt "The United Trinity": Best, Law, Charlton.


Am nächsten Tag werden die United-Fans in Massen die Leitungen der örtlichen Radiostationen blockieren. United ist raus. So kurz vorm Ziel. Aber das ist egal, denn jetzt haben sie nur einen Wunsch: Man muss das Dortmunder Flugzeug stoppen. Kohler darf nie mehr die Insel verlassen, soll gleich einen Vertrag bei den Red Devils unterschreiben. »Es war immer ein Traum von mir auf der Insel zu spielen. Einmal hatte ich auch ein ganz konkretes Angebot, aber Borussia Dortmund wollte mich nicht gehen lassen.« Auch er hätte zur Legende in Old Trafford werden können, mit einem Banner geehrt. Vielleicht hätte es da oben am Stretford End noch in 100 Jahren gehangen. Ein hausgroßes, rotes Stück Stoff mit neun, riesigen weißen Buchstaben: »The Kokser«.