FOOTBALL`S COMING HOME... UNSER GELIEBTER FUßBALL AUS DEN UNTEREN LIGEN


Berichte über unseren geliebten Amateur-Fußball aus dem Herzogtum Lauenburg, der Hansestadt Lübeck und der Verbandsliga Süd-Ost... und natürlich aus dem Mutterland des Fußballs...

Freitag, 3. Dezember 2010

50 Jahre Gary Lineker



Gary Lineker ist so nett, dass man versucht ist, ihn dafür zu hassen. Schade nur: Das klappt einfach nicht. Englands Fußball-Legende wurde 50 Jahre alt. Ein Blick zurück. Auf Applaus für Maradona und Hattricks im El Clasico.


Was macht das Leben so interessant? Tatsachen, die sich mit Zahlen und Fakten analysieren lassen? Hieb- und stichfeste Beweise? Unantastbare Ergebnisse? Wohl kaum. Und deshalb gieren wir nach Geheimnissen, nach Dingen, die sich eben nicht mit dem kleinen Einmaleins oder einer virtuellen Taktiktafel erklären lassen. Deshalb sind computergesteuerte Erklärbären auch so unsexy. Deshalb ist Gary Lineker so sexy – weil er Tore schoss, die bis heute einfach nicht zu erklären sind. Heute wird er 50.


Der TV-Experte Gary Lineker war nämlich mal der Torjäger Gary Lineker. Ein dünner Hering mit großen Ohren und breitem Grinsen, der meistens ganz einfache Tore erzielte. Keine Jahrhundertdribblings, keine epischen Volleykracher, keine fischerschen Fallrückzieher. Und wo, bitteschön, ist das nun geheimnisvoll und sexy? Nun ja, Lineker stand einfach immer richtig. Immer da, wo der Ball hinkullerte, hinflog, in welche Richtung er auch abprallte. Wie hat er das nur gemacht? Es bleibt das große Geheimnis aller Jäger und Sammler dieser kleinen unscheinbaren Tore. Fragt Gerd Müller, er wird mit den Schultern zucken. Fragt Ulf Kirsten, er wird wahrscheinlich wütend mit den Schultern zucken. Fragt Gary Lineker, er wird wahrscheinlich eine Tüte Chips spendieren, sanft lächeln und dann mit Schultern zucken. Dieses von Gott oder irgendeiner höheren Fußball-Macht an ausgewählte Stürmer vergebene Talent der geistigen Vorahnung, wird niemals mit Statistiken, nackten Zahlen oder schicken Tabellen erklärt werden können. Gott sei Dank.


Lineker gehört ohne Zweifel in eine Reihe mit den größten Torjägern des Weltfußballs. Bei der WM 1986 in Mexiko schoss er sechs Tore, gewann den »Goldenen Schuh« als (billiges) Trostpflaster für das tragische Viertelfinal-Aus gegen Argentinien und machte damit immerhin seinen alten Herren ein bisschen reicher. Der hatte, ob aus väterlicher Liebe oder kalkulierender Expertenansicht, auf seinen Sohn als besten WM-Torschützen gesetzt. Und gewonnen. »1986 war mein persönliches Jahr Null«, sagt Lineker heute. Denn plötzlich kennt ihn die ganze Welt. Doch als er durch mexikanische Strafräume räuberte, da war er schon eine große Nummer in seinem Heimatland. Für Leicester City hatte er sein Profi-Debüt geben dürfen und das mit einer ordentlichen Latte an Toren gedankt. Für den FC Everton spielte er genau 52 Spiele – und netzte 38 Mal ein. Und nun Mexiko, viel Hitze, Höhenluft, Argentinien, Maradona, noch mal Maradona. »Sein erstes Tor war eine Lüge«, sagt Lineker, »aber der zweite Treffer war so wunderschön, ich hätte beinahe angefangen zu applaudieren.« Vermutlich hätten seine Landsleute ihm auch das verziehen.


Denn ganz ehrlich: Gibt es einen größeren Saubermann im englischen Fußball als diesen Gary Winston Lineker? Einen wie ihn, der in fast 500 Profispielen nicht einen Platzverweis kassierte, ja, nicht einmal mit der gelben Karte verwarnt wurde? Es gibt keine Suff-, Sex- und/oder Prügelgeschichten von Gary Lineker. Keinen protokollierten Puffbesuch, keinen Griff in die Eier verhasster Gegenspieler, kein Fünkchen Gazza, Wazza, Oh-Ah-Cantona!, steckt in diesem Kerl. Stattdessen: Eine beneidenswerte Ehe mit einer beneidenswert hübschen Jugendliebe, die später zwar zerbrach, allerdings in Freundschaft. Vier Kinder. Verliebte Fans, wo immer er spielte. Nach der WM in Mexiko ging er nach Spanien, zum FC Barcelona, und brauchte nur einen Hattrick gegen Real Madrid, um sich für Lebzeiten einen Platz in den katalanischen Herzen zu sichern. Danach: Tottenham. Kongeniales Trio samt Gascoigne und Chris Waddle. Zuletzt zwei Jahre Karriereausklang in Japan, viele Verletzungen, aber ewige Zuneigung der japanischen Fußball-Verehrer. Heute ist er Werbeträger für Walkers Chips, und weil er das eigentlich schon immer macht, freut man sich tatsächlich auf jeden neuen Werbeclip. Als die Karriere auf dem Platz beendet war, kam er nicht einfach wieder, sondern wurde TV-Experte, Zeitungsautor, Moderator. Ein richtig guter Journalist. Einfach so. Und ewig scheint das kluge Lächeln. Das ist beinahe fast schon zu viel des Guten. Denn lieben wir nicht Fußballer, die auf der Höhe ihres Talents versackten und fast verreckten an zu viel Glanz und Gloria, Koks, Nutten, Kohle? Wie Linekers Mitspieler Gascoigne, der heute einen elenden Preis zahlt, für seine Fähigkeit einst ganze Stadien erbeben zu lassen. Oder George Best, dessen Leber das ganze »Den-Rest-habe-ich-einfach-verprasst«-Leben am Ende nicht mehr standhielt. Lineker, diesen Whitey-Weissmann des Fußballs, Mr. Nice Guy immer und überall, wie lernen wir nur, ihn zu verabscheuen oder zumindest langweilig zu finden?


Der Journalist Lynn Barber vom »Guardian« hat es mal versucht und scheiterte kläglich. »Ich habe wirklich versucht ihn zu hassen«, schrieb Barber bereits 2001, »aber das ist das Problem mit Lineker: Er ist immer ein wenig besser, als du es eigentlich vermutet hast.« Vielleicht auch, weil er – man wird es kaum glauben – schon Scheiße fressen musste. 1992, das Jahr, als seine Länderspielkarriere mit einer unnötigen Auswechslung von Trainer Graham Taylor endete. Europameisterschaft in Schweden, das Spiel gegen den Gastgeber. 48 Tore hatte Lineker zu diesem Zeitpunkt auf dem Konto, ein Treffer fehlte, um den All-time-Rekord von United-Legende Bobby Charlton zu knacken. Da schickte Taylor Alan Smith auf den Platz und Lineker unter die Dusche. Der Rekord ging gleich mit baden. Noch viel schlimmer: Die Krankheit seines ältesten Sohnes George. Eine seltene Form der Leukämie. Sieben Monate sitzt Lineker am Bett seines Thronfolgers, dann ist der Blutkrebs besiegt. Jahre später muss der Ex-Fußballer seinen Bruder Wayne zum Gefängnis fahren. Zwei Jahre Knast wegen Steuerhinterziehung. Es gibt schönere Momente im Leben. Und doch hat es es gut mit ihm gemeint, das Leben. Fußball hat ihn reich gemacht, die zweite Karriere als Medienmensch sorgt für die Altersvorsorge. Die Frau hübsch und intelligent, die Kinder klug, der Bruder wieder frei. Das Leben ist schön. Und der Fußball? Interessiert ihn immer noch, es ist ja sein Job. Aber er spielt nicht mehr, hat noch nicht einmal ein Paar anständige Stollenschuhe. Jetzt reist er für die BBC um die Welt und trifft seinen alten Spezi Maradona wie ein ganz normaler TV-Experte mit glorreicher Fußball-Vergangenheit. Er macht weiter Werbung, natürlich für Chips. Und er sitzt vor der Kamera und erklärt der Welt den Fußball. Sexy Lineker als unsexy Erklärbär? »Ich schaue Fußball und rede darüber. Erklären lässt sich gar nichts. Warum? Es ist schließlich nur ein Spiel. Mehr nicht.« Wunderlicher Gary Lineker. Er bleibt ein Geheimnis.


Seine Vereine: 1978 – 1985 Leicester City (194 Spiele/95 Tore), 1985 – 1986 Everton FC (41/30), 1986 – 1989 FC Barcelona (103/43), 1989 – 1992 Tottenham Hotspur (105/67), 1992 – 1994 Nagoya Grampus Eight (23/9) und für England (80/48).


Sein bekanntester Spruch: „Football is a simple game; 22 men chase a ball for 90 minutes and at the end, the Germans always win. („Fußball ist ein einfaches Spiel: 22 Männer jagen 90 Minuten lang einem Ball nach, und am Ende gewinnen immer die Deutschen.“)