FOOTBALL`S COMING HOME... UNSER GELIEBTER FUßBALL AUS DEN UNTEREN LIGEN


Berichte über unseren geliebten Amateur-Fußball aus dem Herzogtum Lauenburg, der Hansestadt Lübeck und der Verbandsliga Süd-Ost... und natürlich aus dem Mutterland des Fußballs...

Montag, 23. Februar 2009


Greaves war und ist ein Ur-Londoner; Chelsea, Spurs und West Ham hießen seine drei Klubs, und jeder von ihnen besaß zu der Zeit, die Jimmy dort verbrachte, seine »Drinking School«. Das war jener harte Kern der Truppe, der nach den zwei, drei oder mehr Absackern, die man nach dem Spiel oder Training in geschlossener Mannschaftsformation beinahe pflichthalber zu sich nahm, noch weiter um die Häuser zog und es richtig krachen ließ. Greaves’ Unglück dabei war, dass sich die Intensität der Schluckerei mit jedem seiner Vereinswechsel erheblich steigerte. Blieb Ende der biederen 50er bei Chelsea noch alles halbwegs im Rahmen, war den Exzessen bei West Ham (deren Team schon die ganzen Sixties hindurch im Ruf gestanden hatte, ein total verlotterter Haufen zu sein, der kaum zu disziplinieren war), als 1970 in der Endphase von Swinging London grundsätzlich Jubel, Trubel, Heiterkeit angesagt war, keinerlei Grenzen mehr gesetzt. Ausgerechnet bei der Champagner-Clique von Bobby Moore (im East End nur als »King of the Barstools« bekannt), Frank Lampard Sr. und Harry Redknapp (dem man heute noch ansieht, wie wild er es einst getrieben hat) anzudocken, war für Greaves, der damals schon eine Flasche Wodka täglich »nebenher« trank, nach dem AC Mailand der zweite große Fehler in der Karriereplanung. Zu den wenigen Suffeskapaden bekannter Kicker, die seinerzeit von der Boulevardpresse genüsslich breitgetreten wurden, zählt die sogenannte »Blackpool-Affäre«.

Am 2. Januar 1971 stieg West Ham mit einem Auswärtsspiel beim FC Blackpool in den laufenden FA Cup ein. Da wegen der berüchtigten Formschwankungen seiner Mannschaft in der Liga wie üblich nicht viel zu erwarten war, setzte Manager Ron Greenwood ganz auf den Pokal und verkündete in mehreren Interviews vollmundig, er habe das Gefühl, in diesem Jahr werde sein Team bis ins Finale kommen. Man war schon am Neujahrstag in die Küstenstadt im Nordwesten gereist, wo man erfahren musste, dass die Austragung des Spiels wegen eines überraschenden Wintereinbruchs keinesfalls sicher war. Im Hotel machte sich Langeweile breit, und nach einem Abendessen mit »a couple of lagers« hockten Greavsie, Mooro und der Mittelfeldstratege Brian Dear gegen Mitternacht noch an der Bar. Plötzlich kamen einige Techniker der BBC herein und warteten mit der Neuigkeit auf, dass die Begegnung ausfallen werde, da das Spielfeld inzwischen wie eine Eislaufbahn aussehe. Sie selbst wollten noch die Bar aufsuchen, die der berühmte Schwergewichtler Brian London damals im Seebad Blackpool betrieb.

Keine Frage, dass das Spielertrio gleich mit von der Partie war. Als sie Stunden später ins Hotel zurückkehrten, hatte Greaves ein weiteres Dutzend Biere intus, Moore und Dear dagegen nur fünf oder sechs, also keinesfalls Mengen, die ihre Spielfähigkeit beeinträchtigten. Man ließ sich zu vorgerückter Stunde noch eine Kanne Kaffee und Sandwiches aufs Zimmer bringen und meinte, damit hätte sich die Sache. Hatte sie aber nicht, denn einige der mitgereisten Fans von West Ham waren ebenfalls auf die Idee gekommen, bei dem populären Boxer einzukehren. Als sie Greaves, Moore und Dear bei einem Boulevardblatt verpfiffen, war das Spiel, das entgegen der Vermutung der TV-Techniker doch termingerecht ausgetragen worden war, aber schon mit 0:4 kläglich verloren worden. Die drei Spieler wurden kurzzeitig suspendiert und mit einer saftigen Geldstrafe belegt, was im Falle Greaves dazu beitrug, dass er wenig später seine Karrie-re mit nur 31 Jahren beendete. Die Stars von West Ham United tranken fortan, wie es dem inzwischen gestiegenen gesellschaftlichen Stellenwert von Elitekickern geschuldet war, ausschließlich in Edeldiskos, Bars von Nobelhotels und Clubs, zu denen der gemeine Plebs keinen Zutritt hatte.

Ein gutes Jahrzehnt früher, während Jimmys Anfangsjahren bei Chelsea, ging es diesbezüglich und in auffallendem Gegensatz zum Boheme-Image, das sich der Verein später zulegte, noch hemdsärmeliger zu. Im Training spielten oft die »pint men« (die nach vollbrachtem Tagwerk im Klubhaus ausschließlich Bier orderten) gegen die »shorties«, also diejenigen, die ihren Durst bevorzugt mit Schnäpsen löschten. Geeicht wurden Jungspunde wie Greaves damals von Typen wie Peter Sillett, einem knochenharten Verteidiger, der immerhin auch als Nationalspieler 1958 zum englischen WM-Kader zählte. Greaves erinnert sich an ihn folgendermaßen: »Big Peter war einer der herausragenden Charaktere des Teams. Und was für ein Trinker! Er konnte die Pints versenken, als ob am nächsten Tag die Sonne nicht mehr aufgehen würde, und er zeigte nie irgendwelche Ausfallerscheinungen. So sehr ich mich auch anstrengte, ich konnte bei unseren Gelagen nie mit ihm mithalten.« Es zieht sich überhaupt wie ein roter Faden durch das Buch, dass die Spieler, mit denen Greaves auf Vereinsebene oder in der Nationalelf zusammenspielte, eher über ihre Trinkgewohnheiten als über fußballerische Qualitäten charakterisiert werden. Waren die Totalbesäufnisse mit Sillett & Co. anfangs noch die Ausnahme, was nicht zuletzt am damals noch sehr bescheidenen Einkommen lag, änderte sich dies schlagartig, als Greaves nach dem Mailand-Fiasko nach Tottenham wechselte, seiner mit Abstand erfolgreichsten Station.