Vier Tage nach der Tragödie brachte die "Sun" eine ungeheuerliche Titelgeschichte. Unter der Balkenüberschrift "Die Wahrheit" behauptete das Blatt, Liverpooler Fans hätten auf Leichen uriniert, Tote bestohlen, Sanitäter von Mund-zu-Mund-Beatmungen abgehalten, Retter verprügelt. Und: Sie seien verantwortlich für die Katastrophe. All das passte ins Klischee von jenen Hooligans, die spätestens seit der Heysel-Katastrophe in Brüssel 1985 als Schrecken von Fußball-Europa galten. Aber: Nichts von der "Sun"-Geschichte stimmte. Im Gegenteil, die höchstrichterliche Untersuchung von Hillsborough führte zum Ergebnis, dass die Zuschauer kein Verschulden an der Katastrophe hatten, dass sie sich sogar vorbildlich verhalten hatten - und dass noch vor Eintreffen der Rettungskräfte viele Menschen durch den oft heroischen Einsatz anderer Zuschauer gerettet worden waren.
In Liverpool von Kiosken verbannt
Damals wurde die infame "Sun" in den Straßen Liverpools verbrannt. Noch heute gibt es Zeitungsstände in der Stadt, die sich weigern, das Blatt zu verkaufen. Von den 3,3 Millionen Exemplaren von Englands auflagenstärkster Zeitung werden nur 12.000 in Liverpool abgesetzt, kaum mehr als ein Drittel dessen, was die "Sun" im landesweiten Durchschnitt erreicht. Ein Konkurrenzblatt hat errechnet, dass die katastrophale Geschichte von 1989 die Zeitung des Medien-Milliardärs Rupert Murdoch seitdem durch den Auflagenverlust in Liverpool rund 55 Millionen Pfund (mehr als 80 Millionen Euro) an Umsatz gekostet habe.
Die aktuelle Kalkulation der "Sun" schien offensichtlich: Boden zurückgewinnen in Liverpool: mit einer öffentlichen Entschuldigung. Sie erschien in der Ausgabe vom vorvergangenen Mittwoch, in der das Blatt auf der Titelseite und in einem ganzseitigen Leitartikel um Verzeihung bat für die Veröffentlichung von 1989, "den schrecklichsten Fehler seiner Geschichte". Doch der Schuss ging nach hinten los. Die Lokalzeitung "Liverpool Echo" brachte auf den Punkt, wie die kalkulierte Reue des Revolverblatts bei den Leuten ankam: "Vor 15 Jahren logen sie, um Zeitungen zu verkaufen. Heute bringen sie eine heuchlerische Entschuldigung - um Zeitungen zu verkaufen."
„Ein Versuch der Auflagensteigerung“
Auch für Phil Hammond, den Vorsitzenden einer Hillsborough-Selbsthilfegruppe, der seinen vierzehnjährigen Sohn verlor, ist die Aktion nur "ein Versuch der Auflagensteigerung". Er forderte die "Sun" auf, endlich die Quelle ihrer Lügengeschichte zu nennen. Das Blatt berief sich auf Informationen eines angeblichen konservativen Abgeordneten, dessen Name nie genannt wurde.